Am Anfang stehen zwei Namen: Burkart Lutz und Karl Martin Bolte.
Burkart Lutz, der im Jubiläumsjahr 100 Jahre alt geworden wäre, war Arbeitsforscher der ersten Stunde in der Bundesrepublik. Er hatte bereits grundlegende Untersuchungen zur Arbeitswelt veröffentlicht, darunter Arbeiter, Management, Mitbestimmung. Eine industriesoziologische Untersuchung der Struktur, der Organisation und des Verhaltens der Arbeiterbelegschaften in Werken der deutschen Eisen- und Stahlindustrie, für die das Mitbestimmungsgesetz gilt (1955). Am Wirtschafts-Wissenschaftlichen Institut der Gewerkschaften in Köln, am Institut für Sozialforschung in Frankfurt und an der Sozialforschungsstelle Dortmund war er tätig gewesen. In den 1960er Jahren war er auf der Suche nach einer neuen institutionellen Anbindung.
Karl Martin Bolte, im selben Jahr geboren wie Lutz (1925), hatte eine institutionelle Anbindung für sich schon gefunden: Er war 1964 zum Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München berufen worden. Wer, wie der Autor dieses Beitrags, in den 1970er Jahren in die Schule ging, kennt seinen Namen aus dem Gemeinschaftskunde-Unterricht, nämlich von der Bolte-Zwiebel, einem über Lehrbücher weit verbreiteten Schichtenmodell für die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft.
Bolte war in seinen Berufungsverhandlungen mit dem Freistaat Bayern ein „Institut für Kultur- und Sozialforschung“ ans Herz gelegt worden. Dieses Institut, getragen von einem eingetragenen Verein und gegründet in den frühen 1950ern, befasste sich mit Vertriebenen- und Flüchtlingsfragen, die damals eine enorme Bedeutung für die junge Bundesrepublik hatten. Nun aber, in den 1960er Jahren, „kümmerte es dahin“, wie Bolte später schrieb. Seine Direktoren, der Historiker Karl Bosl, der Soziologe Emerich K. Francis und der Slawist Alois Schmaus, überlegten gemeinsam mit Bolte, was aus dem Institut werden sollte. Man kam überein, dass es sich neue Forschungsfelder erschließen müsse und dazu jemand gebraucht werde, der sich hauptamtlich darum kümmern könne.
Da fügte es sich, dass Bolte auf dem Arbeitsmarkt auf Burkart Lutz stieß, der dort „als freier Forscher herumvagabundierte, sich aber nach einer neuen Heimstätte sehnte“. Lutz, „schon immer ein rühriger Mann” (Bolte), wurde fünftes Vorstandsmitglied und bekam die Stelle eines Forschungsdirektors übertragen. Das Wesentliche daran „war die Festlegung, daß ein Gehalt für ihn oder eventuelle Mitforscher nur aus Quellen fließen könne, die er selbst über Forschungsaufträge erschließt“ (Bolte 1990) – eine der Konstanten in der Geschichte des ISF, das bis heute zum weitaus größten Teil auf Akquise von (heute so genannten) Drittmitteln angewiesen ist.
Schon sehr bald führte das zu einer veritablen Umgründung. Das Institut änderte nicht nur seinen Namen, sondern auch seine Satzung und seine Forschungsziele. Seit 1965 hieß es „Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung“ (bis heute mit großem S!) und verfolgte satzungsgemäß „ die Vertiefung und Verbreitung sozialwissenschaftlicher Kenntnisse“ – und dieses Ziel sollte verwirklicht werden „durch die Durchführung sozialwissenschaftlicher Forschungen“, wie es unverändert bis heute heißt.
„Alte“ Mitglieder stiegen aus, neue kamen sehr bald hinzu. Besonders erwähnt werden muss hier Norbert Altmann, der zusammen mit Lutz bis 1990 Forschungsdirektor am ISF blieb und bis 1997 als Wissenschaftler dort arbeitete. Aber auch zwei, die heute noch publizieren und das Institut über viele Jahre geprägt haben: Fritz Böhle und Dieter Sauer, deren erste Veröffentlichungen am Institut aus den Jahren 1969 und 1970 stammen. Wie es Lutz 1990 ausdrückte: „Das Institut war immer auch eine Generation, eine Gruppe von jüngeren Sozialwissenschaftlern, die heute auch nicht mehr so jung sind.“
Die alten Vorstandsmitglieder zogen sich zurück, zuletzt Karl Martin Bolte. Selbstironisch merkte er 1990 an, das habe er getan, „als man ihm klar machte, daß er dem Institut besser von außen helfen als von innen schaden sollte“.
Zum Weiterlesen:
ISF München (1990): Vorträge zum 25jährigen Bestehen des ISF und zum 65. Geburtstag von Burkart Lutz (http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-68049).
Dieter Sauer (2018): Geschichte des Instituts für Sozialwissenschaftliche Forschung in München. In: Stephan Moebius, Andrea Ploder (Hg.): Handbuch Geschichte der deutschsprachigen Soziologie. Band 1: Geschichte der Soziologie im deutschsprachigen Raum. Wiesbaden: Springer, S. 1025–1044.