soeb.de – Berichterstattung zur sozio-ökonomischen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland: Arbeit und Lebensweisen

Homepage des Projekts: www.soeb.de

Projektbeschreibung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung

Projektbeschreibung des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen (SOFI)

Der Erste Bericht beim VS Verlag und bei Amazon

Pressemeldungen zum Ersten Bericht von SOFI und BMBF

Die Werkstattgespräche der Sozioökonomischen Berichterstattung finden Sie hier.

Aktuelle Nachrichten aus dem Projekt sind hier zu finden.

Projektbeschreibung

Forschungsverbund Berichterstattung zur sozio-ökonomischen Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland

Unser Ziel: Berichterstattung zur sozio-ökonomischen Entwicklung

Der Forschungsverbund, der aus dem Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen (SOFI), dem Internationalen Institut für empirische Sozialökonomie (INIFES) und dem ISF München besteht, will die Wechselwirkungen zwischen sozialer und ökonomischer Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland künftig regelmäßig in möglichst vielen Dimensionen anhand geeigneter Indikatoren beschreiben. Diesem Vorhaben liegt die Annahme zugrunde, dass wirtschaftliche Leistung gesellschaftlich eingebettet ist. Sie wird durch soziale Verhältnisse, Institutionen und politische Regulierungen nicht nur – wie im neoliberalen Diskurs behauptet – gehemmt und behindert, sondern zugleich gefördert und an außerökonomische Ziele rückgebunden. Um Trendbrüche in der wirtschaftlichen Entwicklung besser zu verstehen, müssen daher neben ökonomischen Faktoren auch deren veränderte außerökonomische Voraussetzungen, etwa der Wandel von Lebensführungsmustern oder von Institutionen und Normen beobachtet werden.

Der Berichtsansatz ist theoriegeleitet. Er soll die Instrumente gesellschaftlicher Berichterstattung in der Bundesrepublik nicht durch Spezialisierung, sondern durch Integration weiter entwickeln, wobei nicht nur individuelle Lebenslagen zu beobachten sind, sondern ebenso Unternehmensstrategien oder institutionelle und politische Regulierungen. Empirische Befunde aus verschiedenen gesellschaftlichen Beobachtungsfeldern sollen unter einer integrierenden Fragestellung aufeinander bezogen und zusammengeführt werden. Diese Vorgehensweise will andere Berichtssysteme nicht ersetzen, sondern Anschlussmöglichkeiten zwischen deren abgegrenzten Gegenstandsbereichen aufzeigen und Lücken zwischen ihnen schließen. Die Arbeit hieran soll eine längerfristige Kooperation der beteiligten Institute begründen, die unterschiedliche Hintergrundannahmen und Forschungstraditionen respektiert und empirische Forschung und theoretische Klärung ertragreich verbindet.

Unser Ausgangspunkt – Umbruch des Produktions- und Sozialmodells

Aktuelle ökonomische und soziale Krisenerscheinungen lassen sich als Umbruch eines Produktions- und Sozialmodells deuten. Dass das ‚Modell Deutschland‘, welches etwa für die ersten drei Jahrzehnte der Bundesrepublik Gültigkeit hatte, im Rückblick als nicht nur wirtschaftlich, sondern auch als sozial erfolgreich gilt, lässt sich aus einem bestimmten Muster des Austauschs zwischen Ökonomie und gesellschaftlichen Lebensformen erklären: Hohe gesamtwirtschaftliche Wachstumsraten, ein Produktionsapparat, der steigende Massenkaufkraft und bestimmte Formen des Massenkonsums voraussetzte, tiefgreifende Veränderungen der persönlichen Lebensführung, ein hoher Beschäftigungsgrad für männliche Haupternährer sowie kollektivvertragliche Regulierung und sozialstaatliche Absicherung des Lohnarbeitsverhältnisses verstärkten einander wechselseitig. Einen solchen dynamischen Verstärkungszusammenhang bezeichnen wir als sozio-ökonomisches Entwicklungsmodell.

Seit Mitte der 70er Jahre sprechen neben sinkenden durchschnittlichen Wachstumsraten und dem Wiederauftreten von Massenerwerbslosigkeit eine ganze Reihe weiterer Indikatoren für ein Veralten dieses ‚fordistischen‘ Modells. (In den 90er Jahren trat in den neuen Bundesländern das westdeutsche Sozialmodell trotz zunehmender eigener Probleme an die Stelle des zusammengebrochenen staatssozialistischen Systems, so dass sich dort der Umbruch mit einer Transformationskrise verschränkt.)

Für unseren Ansatz einer theoriegeleiteten Berichterstattung bildet das sozio-ökonomische Entwicklungsmodell ein Diagnosekonzept mittlerer Reichweite. Forschungsleitend sind nicht Annahmen über lange historische Trends wie Modernisierung oder Tertiarisierung, sondern Annahmen über veränderte Wechselwirkungen zwischen Ökonomie und Lebensweise in einer nach Jahrzehnten, nicht nach Epochen bemessenen historischen Konstellation.

Die Besonderheiten des westdeutschen Produktions- und Sozialmodells, die sich rückblickend erschließen lassen, dienen dem Verbund als Maßstab für die Analyse des Umbruchs, nicht jedoch als normativer Bezugspunkt für die künftige Entwicklung. Auch das für dieses Entwicklungsmodell charakteristische Institutionengefüge ‚altert‘ und steht in wachsender Spannung zum aktuellen ökonomischen und sozialen Geschehen. Mit den gesellschaftlichen Beobachtungsgegenständen geraten zugleich Normalitätsannahmen und Normen in Bewegung. Ob eine neue positive und dynamische Wechselwirkung zwischen Arbeits- und Lebensmustern in einem veränderten Sozialmodell möglich ist und wie viel Kontinuität oder wie viel Wandel dies erfordert, gilt uns als offene Frage.

Unsere Methoden: Neuer Blick auf vorhandene Daten
Der Verbund wird für diese Berichterstattung keine zusätzlichen Erhebungen durchführen, sondern wird vorhandene Daten für seine Fragestellungen erschließen und aufbereiten. Dieser neue Blick auf bereits erhobene Daten bedeutet jedoch nicht Beschränkung auf vergleichende sekundärstatistische Analyse. Eigene Auswertungen aktueller quantitativer Datensätze, die für wissenschaftliche Zwecke verfügbar sind oder an deren Erhebung Verbundinstitute beteiligt sind, werden ebenso herangezogen wie qualitative Forschungsergebnisse. Für die Beschreibung der Berichtsgegenstände werden nicht nur Mikrodaten für Personen oder Haushalte, sondern auch Daten auf einer mittleren Analyseebene (z.B. des Betriebs) und hoch aggregrierte Daten berücksichtigt. Dieser Methodenpluralismus soll es ermöglichen, für die Fragestellungen der Berichterstattung schrittweise geeignete Indikatoren zu identifizieren und die Probleme ihrer Verknüpfung zu lösen. Dazu gehört auch, die einzelnen Datenquellen methodenkritisch zu bewerten, Probleme und Lücken der empirischen Datenbasis aufzuzeigen und ihre Vergleichbarkeit auf der europäischen bzw. internationalen Ebene zu erörtern.

Unsere Arbeitsweise: Konzept, Felder und Gegenstände der Berichterstattung

Die Arbeitsweise des Forschungsverbunds trägt dem Umstand Rechnung, dass derzeit sowohl die Muster der gesellschaftlichen Einbettung von Wirtschaft als auch die Maßstäbe für die Bewertung sozio-ökonomischer Entwicklung in Bewegung sind. Der integrative Anspruch des Berichtsvorhabens lässt sich nur schrittweise einlösen, indem theoretisches Konzept, Arbeitsfelder und Berichtsgegenstände parallel bearbeitet werden:
Das theoretische Konzept des sozio-ökonomischen Entwicklungsmodells und seine normativen Gehalte sollen durch historische Rekonstruktion des deutschen Produktions- und Sozialmodells und durch kritische Auseinandersetzung mit dem EU-Diskurs zu den Qualitäten des europäischen Sozialmodells geklärt werden.

Fünf Leitbegriffe, mit denen wir wesentliche Veränderungen in den Beziehungen zwischen Ökonomie und Lebensweisen zu erfassen suchen, bildeten in der ersten Projektphase die Arbeitsfelder des Verbunds: ‚Flexibilisierung und Subjektivierung der Arbeit‘; ‚Integration, Gefährdung, Ausgrenzung‘; ‚Informelle Arbeit‘; ‚Bildung, Ausbildung und Beschäftigung‘; ‚Informatisierung‘. Jedes dieser Felder bildet einen Interpretationszusammenhang, der Fragestellungen für die empirische Untersuchung und Maßstäbe für die Indikatorqualität verfügbarer Daten liefert.

Stehen für die Arbeitsfelder des Verbunds theoretische Perspektiven auf den Umbruch Pate, so handelt es sich bei den Berichtsgegenständen um Bereiche gesellschaftlicher Praxis, die der empirischen Beobachtung – mehr oder minder – zugänglich sind. Für den Ersten Bericht wurden 17 solcher Gegenstände anhand von Daten beschrieben werden, ohne dass ihre Auswahl Vollständigkeit oder Abgeschlossenheit beanspruchen könnte.

Beispiele solcher Berichtsgegenstände sind: ‚Zeitmuster‘, ‚Beschäftigungsverhältnisse‘, ‚Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung‘, ‚Haushaltsproduktion‘, ‚Digitale Spaltung‘, ‚Bürgerschaftliches Engagement‘, ‚Soziale Netze‘. Die Arbeitsfelder greifen bei der Beobachtung zentraler Dimensionen sozio-ökonomischer Entwicklung auf die empirischen Befunde der verschiedenen Berichtsgegenstände zurück.

Diese Arbeitsweise ermöglicht dem Verbund ein großes Maß an Offenheit bei der schrittweisen Entwicklung eines Berichtskonzepts; sie soll nach der Vorlage des ersten Berichts überprüft werden. Die Verständigung auf geeignete Indikatoren soll es dem Verbund ermöglichen, die sozio-ökonomische Entwicklung der Bundesrepublik künftig auch in europäisch und international vergleichender Perspektive zu betrachten.

Im Jahre 2005 ist der umfangreiche Erste Bericht im VS-Verlag erschienen: Soziologisches Forschungsinstitut (SOFI); Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB); Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF München); Internationales Institut für empirische Sozialökonomie (Hrsg.) (2005): Berichterstattung zur sozioökonomischen Entwicklung in Deutschland – Arbeit und Lebensweisen. Erster Bericht, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden.

Das ISF München war und ist an der Bearbeitung folgender Berichtsgegenstände beteiligt:

  • Informatisierung
  • Digitale Spaltung
  • Zeitverwendung im Kontext von Erwerbsarbeit und Haushalt
  • Flexibilisierung und Subjektivierung von Arbeit

Eine neue Arbeitsphase: Sozioökonomische Berichterstattung auf mittlere Frist
Für 2008 ist die Vorlage eines Zweiten Berichts geplant. Dazu ist zunächst eine konzeptionelle Phase vorgesehen, die sich mit der Frage befasst, in welcher Form das Projekt die aktuellen Veränderungen des Produktions- und Sozialmodells dauerhaft beobachtbar und „berichtsfähig“ machen kann. Mit Bezug auf die Ergebnisse aus dem Ersten Bericht wird in einer Serie von Werkstattgesprächen unter Beteiligung von Wissenschaft und Politik diskutiert, wie die Konzepte, Schwerpunkte und Themen des Zweiten Berichts zu setzen sind – das Projekt stellt sich also der wissenschaftlichen Diskussion. Die Werkstattgespräche erstrecken sich über das erste Halbjahr 2006, bei ihnen werden sowohl ausgewählte Ergebnisse des Ersten Berichts als auch aktualisierte Daten präsentiert. Nach dieser Konzeptions- und Diskussionsphase wird die inhaltliche Arbeit am Zweiten Bericht beginnen.

Aufgaben des ISF München: Thema Arbeit und Betrieb …
An der konzeptionellen Phase ist das ISF mit seinen oben genannten Arbeitsschwerpunkten beteiligt. Insbesondere übernimmt es die Gestaltung des Workshops „Gesellschaft im Betrieb“. Thematisch ist hier der Strukturwandel von Arbeit, der in engem Zusammenhang mit zentralen Veränderungen in der Gesellschaft steht. Höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen, gestiegene Arbeitslosigkeit, Flexibilisierung von Beschäftigungsformen und -zeiten, diskontinuierliche Erwerbsverläufe, neue Formen der Leistungssteuerung und neue Gestaltungsmöglichkeiten in der Erwerbsarbeit, Ausbau des Niedriglohnsektors und steigende Unsicherheit von Beschäftigten sind einige Schlagworte, die exemplarisch die weit reichenden Konsequenzen andeuten.

Im Mittelpunkt dieses Strukturwandels stehen die Betriebe. Sie sind nicht nur Produzenten von Waren und Dienstleistungen, sondern organisieren auch die Integration von Individuen in Arbeit und Beschäftigung. So wirken sich beispielsweise flexibilisierte Arbeitszeiten im Betrieb auf die Möglichkeiten von Frauen Erwerbstätigkeit und Familie zu vereinbaren aus, betriebliche Entlohnungspraktiken sind entscheidend für den individuellen und familiären Wohlstand, die Anforderungen an Arbeit, die im Betrieb gestellt werden, können gesundheitliche Folgen für die Beschäftigten haben.

Der Betrieb ist weit reichenden Veränderungen unterworfen, seine Charakteristik wandelt sich: Betriebe sind eingebunden in komplexe Konzernstrategien und Wertschöpfungsketten, die einer beständigen Reorganisation unterliegen. Als zentrale Merkmale des fordistischen Betriebes galten Stabilität und Berechenbarkeit, heute dagegen scheint der permanente Wandel zur neuen Stellgröße der betrieblichen Lebenswelt zu werden. Die Bildung von Netzwerken, zunehmendes Outsourcing und Offshoring sowie fortschreitende Internationalisierung, die durch die Informatisierung vorangetrieben und möglich gemacht werden, sind als Stichworte an dieser Stelle zu nennen.

Doch nach wie vor bildet der Betrieb als ökonomische und soziale Einheit der Produktion die zentrale Vermittlungsinstanz der Beschäftigten zum Arbeitsmarkt und zu den Systemen der sozialen Sicherung. Er stellt den elementaren gesellschaftlichen Ort dar, an dem Erwerbsarbeit organisiert wird und Beschäftigte in ein Sozialgefüge integriert werden. Hier werden ökonomische Strategien fassbar und beschreibbar, hier lassen sich deren Konsequenzen für Arbeit und Lebensweisen beobachten. Daher ist der Betrieb als wesentliche Analyseeinheit einer integrierten Sozialberichterstattung zu betrachten.

Mit Blick auf Arbeit- und Lebensweisen sind insbesondere folgende Dimensionen als Schnittstellen zwischen Betrieb und Individuum von Bedeutung:

  • die Organisation von Beschäftigung und Arbeit im Betrieb
  • Arbeit und Lernen – Beruf und Betrieb
  • Betrieb und betriebliche Sozialordnung – Mitbestimmung und Partizipation
  • Betrieb zwischen Verortung und Verlagerung

Um den Betrieb als Analyseeinheit für eine Sozialberichterstattung fruchtbar zu machen, müssen die beschriebenen Umbruchprozesse berücksichtigt werden: Eine theoretische Reformulierung eines Konzepts des Betriebes ist erforderlich, um einerseits Auswirkungen von betrieblichen Strategien auf Beschäftigte und anderseits die Rolle von Betrieben und Unternehmen im Rahmen des Produktions- und Sozialmodells genauer fassen zu können.

Öffentlichkeitsarbeit und inhaltsorientierte Webpräsenz
Zudem arbeitet das ISF München am Transfer der Berichtsergebnisse in die Öffentlichkeit. Denn die Resultate können sowohl innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses als auch weit darüber hinaus in Politik, Verwaltung, Verbänden und insgesamt der öffentlichen Meinungsbildung und Auseinandersetzung Erkenntnisfortschritte ermöglichen. Damit dieses Potenzial umgesetzt werden kann, bedarf es besonderer Bemühungen um den Transfer der wissenschaftlichen Erkenntnisse in diese Institutionen. Zentral ist die „Übersetzung“ in zielgruppenspezifisch differenzierte Formen und die Erfassung und Nutzung von Medien und Multiplikatoren zur möglichst effizienten Verbreitung. Dazu ist eine Verschränkung von Pressearbeit mit einer inhaltsorientierten Webpräsenz vorgesehen.

 

Projektlaufzeit

07/2000 bis 11/2008

Projektförderung

gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Projektträger: Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit (GSF)